Roland Garros: Die Geschichte der French Open beginnt britisch

Zum 120. Mal finden 2021 die French Open statt. Doch warum heißen sie eigentlich Roland Garros und wer war dieser Mann? Eine Geschichte über Traditionen, Asche, Erfolge und Raubvögel.

Die Geschichte der French Open: Darum heißen die French Open Roland Garros

Von Tillmann Becker-Wahl und Roshan Thome, Illustration: Oona

Jahrzehnte lang waren die French Open eine französische Erfolgsgeschichte. Kein Wunder. Schließlich durften bis Mitte der 1920er-Jahre nur Spielerinnen und Spieler aus Frankreich am Pariser Turnier teilnehmen. Dann öffneten die Veranstalter die französischen Tennismeisterschaften auch für ausländische Spieler – und nannten es Roland Garros. Nun feiert das Turnier im Mai und Juni 2021 seinen 120. Geburtstag. Doch warum sind die French Open nach einem Luftfahrtpionier benannt und weshalb brauchen die Veranstalter drei Raubvögel? Eine Geschichte über Tradition, Asche und Erfolge: die French Open.

Als die French Open das erste Mal stattfanden, herrschte – Leere. Ganze fünf Spieler trafen sich damals, im Frühsommer 1891, um den französischen Tennismeister auszuspielen. Auf den Rasenplätzen des Racing Club de France kamen sie zusammen. Aschplätze waren damals fast gänzlich unbekannt. Und auch sonst erinnerte eher wenig an das heutige Grand-Slam-Turnier: Denn die Stimmung im Pariser Tennisclub war idyllisch. Sie erinnerte eher an ein Tennis-Freizeitturnier als an einen ernstzunehmenden Wettbewerb.

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Trotzdem, geradezu pompös war der Name der ersten French Open: die 1. Championnat de France international de Tennis, die internationale französische Tennismeisterschaft. International – das waren die French Open Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts jedoch nun wirklich nicht. Bis 1925 durften nur französische Spielerinnen und Spieler beim internationalen Tennisturnier in Paris aufschlagen.

Zwei Tennisclubs veranstalteten die French Open im Wechsel

Die heutige Turnier-Anlage, das Stade Roland Garros, existierte damals noch nicht. Stattdessen unternahmen die Veranstalter ein Wechselspiel: Nachdem die ersten französischen Tennismeisterschaften im Racing Club de France stattfanden, ging es ein Jahr später in den Stade Français. Heute zählen die zwei Mehrsportvereine aus Paris zu den größten Sportvereinen Frankreichs. Mehr als 20.000 Mitglieder hat der Racing Club de France, der erste Mehrsportverein Europas. Die Tennisabteilung teilt sich auf sechs Hektar mehr als 40 Tennisplätze.

Wie auch die heutige Anlage Stade Roland Garros liegt auch der Stade Français im 16. Arrondissement – einem der teuersten und exklusivsten Viertel von Paris. Heute treiben rund 12.000 aktive Mitglieder Sport im Stade Français. Sportlerinnen und Sportler des Großvereins brachten seit Gründung mehr als 80 olympische Medaillen nach Hause, hinzukommen hunderte französische Titel in Einzel- und Mannschaftssportarten.

Brite gewinnt das erste internationale Tennisturnier von Paris

Auch der Sieger der ersten French Open 1891 war Mitglied des Stade Français. Das Außergewöhnliche: H. Briggs, dessen Vorname unbekannt ist, war Brite. Teilnehmen durfte er bei den 1. Championnat de France international de Tennis nur deswegen, weil er Mitglied eines französischen Tennisvereins war. Bis 1933 blieb Briggs damit der einzige männliche Sieger der French Open, der nicht aus Frankreich kam. Dann begann mit dem australischen Tennisspieler Jack Crawford eine Ära, die das Ende der französischen Siegerfeierlichkeiten einleitete.

Als die Veranstalter 1925 schließlich endschieden, auch ausländische Spielerinnen und Spieler an der französischen Tennismeisterschaften teilnehmen zu lassen, änderten sie auch den Namen des Turniers: Die Internationaux de France waren geboren.

Während bei den Herren anfangs mit René Lacoste und Henri Cochet weiterhin französische Tennisspieler das Turnier dominierten, sah das bei den Damen anders aus. Nachdem Suzanne Lenglen in den sieben Jahren von 1920 bis 1926 gleich sechsmal den Pariser Tenniswettbewerb gewinnen konnte, beendete die Niederländerin Kea Bouman bereits 1927 die französische Dominanz.

Die neue internationale Ausrichtung des Turniers steigerte indes auch das Interesse der Spielerinnen und Spieler. Der ständige Ortswechsel zwischen dem Racing Club de Paris und dem Stade Français schien nicht mehr zeitgemäß, zudem waren die Kapazitäten der Vereine so langsam erschöpft. Eine Alternative musste her – und da kam der erste französische Davis-Cup-Sieg 1927 gegen die USA gerade rechtzeitig.

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Roland Garros war Luftfahrtpionier

Die französische Tennis- und Medienszene feierte den Erfolg ihrer Landsmänner im fernen Nordamerika. Sie tauften René Lacoste, Henri Cochet, Jacques Brugnon und Jean Borotra die Quatre Mousquetaires, die vier Musketiere. Das Quartett löste nicht nur das vermutliche goldene Tenniszeitalter Frankreichs ein – sondern auch einen französischen Tennisboom.

Durch den Davis-Cup-Sieg Frankreichs kam die International Lawn Tennis Challenge 1928 nach Paris. Das stellte den Französischen Tennisverband (FFT) vor Probleme: Denn als Austragungsort eigneten sich die Pariser Tennisclubs nicht. Also entschied der FFT, eine neue Tennis-Anlage zu bauen.

Im 16. Arrondissement von Paris entstand das Stade Roland Garros, am Rand des Parks Bois de Boulogne. Nachdem 1928 ein Damen-Länderspiel den neuen Tennispark eröffnete, zogen auch die Veranstalter der französischen Tennismeisterschaften ins Stade Roland Garros. Aus dem Internationaux de France wurde das Tournoi de Roland Garros, das Fans seit Beginn der Open Era 1968 inoffiziell French Open nennen.

Dass der französische Tennisverband derweil seinen neuen Tennispark nicht nach einer Spielerin oder einen Spieler benannt hat, ist erstaunlich – und passt dennoch gut in die Zeit.

Roland Garros war der erste Mensch, der das Mittelmeer überflog. Acht Stunden brauchte er 1913 dafür.

Roland Garros war ein französischer Luftfahrtpionier und ein echtes Idol des Landes. Er gewann 1911 den prestigeträchtigen Flugwettbewerb Grand Prix d’Anjou und die Luftfahrtrennen zwischen Paris und Rom sowie Paris und Madrid. Als erster Mensch überflog er am 23. September 1913 das Mittelmeer: von Fréjus in Südfrankreich ging es innerhalb acht Stunden nach Bizerte, Tunesien.

Mit Beginn des 1. Weltkriegs meldete sich Garros freiwillig als Flieger. Das Militär versetzte ihn daraufhin als Leutnant an die Westfront. Dort nahmen ihn deutsche Soldaten 1915 nach einer Notlandung gefangen – und verschleppten Roland Garros in eine Magdeburger Festung.

Nachdem ihm nach drei Jahren die Flucht über Belgien gelang, steuerte Garros ab 1918 wieder französische Flieger. Nur einen Tag vor seinem 30. Geburtstag traf ihn ein deutsches Jagdflugzeug. Roland Garros stürzte ab – und starb. Für die französische Luftwaffe war Roland Garros ein Held. In politisch unruhigen Zeiten im Europa der 1920er-Jahre nutzte der FFT die Geschichte Garros‘, um ihn zehn Jahre nach seinem Tod zu ehren.

French Open: Tennis auf 8,5 Hektar

Heute ist das Stade Roland Garros mit seiner 8,5 Hektar großen Anlage die kleinste aller Grand-Slam-Tennisparks – und nicht einmal halb so groß wie die Anlagen in Melbourne, London und New York. Insgesamt 20 Tennisplätze beherbergt das Stade Roland Garros, darunter die drei Stadien Court Philippe Chatrier, Court Suzanne Lenglen und Court Simonne Mathieu.

Mit etwa 15.000 Zuschauerplätzen ist der Court Philippe Chatrier ähnlich groß wie der Centre Court bei den Wimbledon Championships und die Rod Laver Arena bei den Australian Open. Die wichtigste Neuerung seit 2020: ein in 15 Minuten vollständig ausfahrbares Dach. Dieses entstand ein Jahr nach dem Neubau des Philippe Chatrier – und war aufgrund der durch die Corona-Pandemie verschobenen French Open 2020 in den Spätherbst sofort im Einsatz.

Im Zuge der zweiten Erweiterung des Stade Roland Garros entstand 1994 mit dem Court Suzanne Lenglen das zweitgrößte Stadion des Tennisparks. Etwa 10.000 Zuschauer können in der nach der erfolgreichsten französischen Tennisspielerin benannten Arena die Spiele live verfolgen. Der 2019 gebaute Court Simonne Mathieu fasst 5.000 Zuschauer – und ersetzte die im Juni des gleichen Jahres abgerissene, sogenannte Stierkampfarena.

Der Platz im Stade Roland Garros ist für die Spielerinnen und Spieler, aber auch für die Zuschauer trotz der letzten Erweiterungen nach wie vor knapp. Etwa 500.000 Zuschauer kommen während den Turnierwochen auf die Anlage. Der französische Tennisverband plante in der Vergangenheit deswegen, den Tennispark auf 55 Plätze zu erweitern. Anwohner lehnten diesen Vorschlag allerdings ab.

Für viele Tennisfans bleibt deswegen nur die Live-Übertragung im Fernsehen. 2019 schauten 381 Millionen TV-Zuschauer in 190 Ländern die French Open. Lediglich fünf Länder der Welt übertrugen das Pariser Grand Slam nicht.

Die Balljungen der French Open: Arbeit in der ersten Reihe

Doch egal, ob vor dem Fernseher oder im Stadion: Näher an die Profis als die Ballmädchen und Balljungen kommt bei den French Open wohl niemand. Was eine Ehre ist, ist bei genauem Hinsehen jedoch ein echter Knochenjob. Etwa 70.000 Bälle sammeln die Ballkinder während der dreiwöchigen French Open ein. Sie kennen die Wünsche und Eigenarten aller Spielerinnen und Spieler – und stehen auch bei 40 Grad in der prallen Sonne.

Der Wunsch, den Stars der Tennisszene einmal live das Handtuch reichen zu dürfen, ist dennoch groß: Jedes Jahr bewerben sich zwischen 4.000 und 5.000 Mädchen und Jungen im Alter zwischen zwölf und 16 Jahren. In einer ersten Auswahlrunde dünnen die Ballkinder-Trainer das Feld der Bewerberinnen und Bewerber aus. Den verbleibenden Kindern bringen sie in vier Tagen das nötige Ballkinder-Wissen bei.

Allerdings: Wer es bis hierhin geschafft hat, kann stolz sein – ist jedoch noch lange nicht sicher dabei. In einer finalen Runde wählen die Trainer schließlich 250 Ballmädchen und Balljungen aus. Bescheid bekommen die Kinder per Telefon, die am Tag der Entscheidung ihre Handys nicht mehr aus den Augen lassen können.

Wer es in den Kreis der 250 Kinder geschafft hat, bekommt: schulfrei – und manchmal gar eine Wohnung mit Blick auf den Eiffelturm. Vielleicht hilft diese auch, am Abend nach den Spielen der Profis all die Eindrücke zu verinnerlichen. Letztlich nämlich haben die Ballmädchen und Balljungen während den drei Wochen andauernden French Open vor allem eines nicht: viele Pausen.

Balljungen dürfen ihren Kopf nicht bewegen

Einen Tag bekommen die Ballkinder während des Turniers frei. An den anderen Tagen arbeiten sie – sieben bis acht Schichten pro Tag. Eine dieser Schichten dauert 45 Minuten, egal wie warm oder kalt es in Paris ist. Das Wetter, sagen sie, bekämen sie während ihres Einsatzes gar nicht mit.

Stattdessen konzentrieren sich die Ballmädchen und Balljungen darauf, welchen Profi sie gerade betreuen. Manchen sollen sie zwei, anderen drei Bälle vor ihrem Aufschlag zuwerfen. Sie denken darüber nach, wie sie der Spielerin oder dem Spieler das Handtuch reichen, ob ein Seitenwechsel ansteht oder ein Tiebreak. „Während der Ballwechsel denke ich an die Wünsche meiner Spieler“, erzählt ein Ballmädchen.

Der Druck auf die Ballkinder ist groß. „Wir müssen immer konzentriert sein und antizipieren“, sagt sie. Wer einen Fehler macht, wirft den Profis am nächsten Tag die Bälle auf einem Nebenplatz zu. Dazu gehört auch, eine Partie lang nicht zu lächeln oder die Spielerinnen und Spieler abzulenken, indem Ballkinder ihren Kopf bewegen. „Mir kreisen so viele Gedanken durch den Kopf, dass ich vom Spiel kaum etwas mitbekomme“, sagt ein anderer Balljunge dem Magazin Vice.

Asche statt Hartplatz: Hier unterscheiden sich die French Open von anderen Grand Slams

Dass die Ballmädchen und Balljungen dabei auf Sand- statt auf Hartplätzen stehen, blenden sie vermutlich aus. Dabei finden die French Open seit dem Umzug ins Stade Roland Garros seit 1928 auf Ascheplätzen statt.

Erstmals nutzten britische Tennisspieler 1880 den Trick des roten Sands, dem terre battue. An der Côte d’Azur, in einem Tennisclub in Cannes, kippten sie zermahlene, rote Ziegelsteine über die Rasenplätze. Damit wollten sie das Gras vor der brachialen Sonne schützen.

Auch in Paris kämpften die Verantwortlichen der French Open mit heißen Frühsommertagen im Mai und Juni. Der französische Tennisverband also entschied: Das Stade Roland Garros solle Asche- statt Rasenplätze bekommen. An dieser Tradition halten die Veranstalter noch heute fest.

Doch die French Open sind nicht nur der einzige Asche-Grand-Slam. Während die Spielerinnen und Spieler bei den Wimbledon Championships mit Tennisbällen von Slazenger aufschlagen, kommen bei den Australian Open Bälle von Dunlop zum Einsatz. Bei den French Open spielen die Profis, wie auch in New York, mit Bällen des US-amerikanischen Sportartikelherstellers Wilson.

Panamahüte und Raubvögel: Die Kuriositäten von Roland Garros

Kurioser als die Tennisbälle kommen die typisch weiß-beigen Panamahüte der French-Open-Zuschauer daher. Denn was die Erdbeeren mit Sahne in London sind, sind die Panamahüte in Paris. Bis zu 2.000 Hüte kaufen die Tennisfans während der French Open. Zusätzlich 3.000 Stück verteilen die Veranstalter an VIPs und Promis. Kein Wunder: Schließlich schützen die Hüte die Fans vor einem Sonnenstich auf den Tribünen.

Damit Tauben und kleine Vögel nicht zwischen den Ballwechseln über die Plätze fliegen, setzen die Veranstalter der French Open drei Raubvögel ein: Sarko, Chucky und 007 sollen die kleinen, fliegenden Störenfriede von der Anlage vertreiben.

Rafael Nadal und Evert: Die erfolgreichsten Spielerinnen und Spieler der French Open

Heimisch fühlt sich in Paris hingegen seit Jahren Rafael Nadal. Im Oktober 2020 gewann Nadal zum 13. Mal das Herreneinzel der French Open. Er ist damit absoluter Rekordhalter (Stand: Mai 2021). Keiner gewann ein Grand-Slam-Einzelturnier häufiger als Nadal. Mit sechs Siegen folgt, weit abgeschlagen, Björn Borg.

Bei den Damen führt Chris Evert diese Liste an. Sie gewann die French Open zwischen 1974 und 1986 insgesamt sieben Mal. 2020 gewann die junge Polin Iga Swiatek Roland Garros. Das erste Damenturnier der französischen Tennismeisterschaften hat indes 1897 stattgefunden. Die damalige Siegerin: Adine Masson. Fünfmal in Folge gewann die Französin das Vorgänger-Turnier der heutigen French Open.

Seit Beginn der Open Era 1968 bleiben bei Spielerinnen und Spielern aus Frankreich die Erfolge jedoch meist aus. Die einzigen Einzeltitel feierten Yannick Noah, 1983, und Mary Pierce im Jahr 2000.

Mit 17 Jahren war Monica Seles 1970 die jüngste Siegerin der Geschichte der French Open. Genauso alt war auch Michael Chang, als er im Finale 1989 Stefan Edberg in fünf Sätzen besiegte.

Der erste Sieg einer deutschen Spielerin bei den French Open datiert aus dem Jahr 1930. Die Kölnerin Cilly Aussem gewann den Titel im Mixed, 1931 folgte dann der Sieg im Dameneinzel. 1934 gewann Gottfried von Cramm als erster männlicher deutscher Spieler die French Open. 1936 wiederholte er diesen Erfolg. Gemeinsam mit Henner Henkel, der im gleichen Jahr auch das Herreneinzel gewann, sicherte sich von Cramm 1937 den Sieg im Herrendoppel.

Die erfolgreichste Deutsche bei den French Open war jedoch eine andere: Steffi Graf. Zwischen 1987 und 1999 gewann sie das Dameneinzel von Roland Garros gleich sechsmal. Damit löste sie Hilde Sperling ab. Sperling gewann die French Open in den 1930er-Jahren dreimal (1935, 1936 und 1937).

Kevin Krawietz und Andreas Mies sind das erfolgreichste deutsche Herrendoppel der French-Open-Geschichte. Sowohl 2019 als auch 2020 holten sie den Titel von Paris. Anna-Lena Grönefeld gewann Roland Garros 2014: im Mixed.

Roland Garros: Die Geschichte der French Open

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